In der vergangenen Sitzungswoche ging es im Deutschen Bundestag erneut um das Thema anlasslose Vorratsdatenspeicherung (VDS). Dieses Mal im Gewand der Speicherung von IP-Adressen, die von der Union im Bundestag und von Hessen im Bundesrat mit jeweils eigenen Initiativen gefordert wird.
Aber es ging nicht nur um das Aufwärmen dieser alten Debatte, die uns "in die Sackgassen der Vergangenheit" zurückführt (Zitat MdB Manuel Höferlin). Sondern es geht leider erneut ums große Ganze. Die Überwachungsideen der Union, die schon seit einiger Zeit die Notwendigkeit einer Zeitenwende in der inneren Sicherheit propagiert.
Die immer gleichen Fehler und Denkmuster bei der Vorratsdatenspeicherung
Keine Version der Vorratsdatenspeicherung, die es bisher in das Bundesgesetzblatt geschafft hat, war jemals mehr als ein paar Wochen anwendbar. Das liegt auch an den immer selben Fehlern, die gesetzgeberisch gemacht wurden und sich auch im Vorschlag der Union im Deutschen Bundestag wiederholen (wie MdB Dr. Thorsten Lieb herausstellte). Denn die Länge der zwingend erforderlichen Speicherfrist für diese anlasslose Form der Datenspeicherung müsste sachlich gut begründet werden (im Übrigen auch nach dem EuGH-Urteil aus dem April dieses Jahres).
Zur Frage der Wirksamkeit der anlasslosen VDS gibt es aber, egal wie lang man sie ansetzt, keinerlei Beleg. Das ist ein Problem in einem Rechtsstaat, denn es gilt bei Eingriffen die Interessen aller anlasslos Überwachter mit dem vermeintlichen Vorteil für die Strafverfolgung abzuwägen. Jeglicher Form der evidenzbasierten Kriminalpolitik verweigert sich die Union aber standhaft. Als die VDS in Deutschland 2010 erstmals vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte, hat hingegen die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger untersuchen lassen, ob es ohne VDS zu Schutzlücken kommt. Und siehe da: Das konnte nicht bestätigt werden!
Daten ohne konkreten Anlass und ohne Verdacht zu speichern, ist und bleibt verfassungs- und europarechtswidrig! Deshalb hat die FDP-Fraktion als Gegenmodell auch den Ansatz Quick Freeze in den Bundestag eingebracht, den die SPD in der Ampel-Regierung drei Jahre lang blockierte, obwohl im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP vereinbart war eine Regelung zu schaffen, mit der Daten "rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können". Das Modell steht für eine moderne, effektive und vor allem rechtssichere Art der Strafverfolgung. Mit dem Ende der Ampel-Koalition hat Quick Freeze jetzt wohl aber keine Chance mehr umgesetzt zu werden.
Kommt noch mehr Überwachung noch vor der vorgezogenen Bundestagswahl?
Leider immer wahrscheinlicher wird dagegen eine Ausweitung von Überwachungsbefugnissen noch in dieser Legislatur in der spontanen Großen Koalition aus SPD und Union. Ich borge mir hier gerne die Wortwahl von Helge Limburg MdB aus der Bundestagsdebatte zur IP-VDS - diese unheilige Allianz kann man wohl nur als "koalitionsgewordener Verfassungsbruch" bezeichnen. Denn am Freitag wurde bekannt, dass sich die Innenministerkonferenz auf einen Kompromiss beim vom Bundesrat blockierten Teil des Sicherheitspakets aus dem Herbst und bei der VDS von IP-Adressen geeinigt hat. Wenn der Vermittlungsausschuss, der Bundestag und der Bundesrat sich also noch in den verbleibenden Wochen einig werden, dann wird noch vor dem Ende der Legislatur die Überwachung massiv ausgebaut!
Genaueres ist noch nicht online zu finden, aber da es nun zur Anrufung des Vermittlungsausschusses kommen muss, liegt die Entscheidung darüber, ob biometrische Internetsuche, polizeiliche Superdatenbanken und anlasslose Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen noch in den nächsten Wochen kommen, auch an der Zustimmung des verbleibenden Regierungspartners: den Grünen. Außerdem muss irgendwer die Gesetze, die Anbieter verpflichten Daten zu speichern und Regeln für die Strafverfolgung aufstellen, um diese Daten nutzen zu dürfen, auch noch verfassen und gesetzgeberisch begleiten. Hier kommt neben Innenministerin Faeser dann Digital- und Justizminister Volker Wissing ins Spiel.
Unter der Annahme, dass die Motivation für den Verbleib in der Bundesregierung sowohl bei den Grünen als auch bei Volker Wissing darin lag, zentrale Ziele der Ampel-Koalition weiter voranzubringen, ist jetzt der Moment gekommen, diese Ziele entschlossen umzusetzen.
Die Grünen Vertreterinnen und Vertreter in der Bundesregierung sowie Digital- und Justizminister Wissing haben die Chance, ein klares Zeichen zu setzen und sich für den Schutz der Freiheitsrechte einzusetzen, indem sie den Überwachungsplänen von Bundesinnenministerin Faeser und der Innenministerkonferenz eine Absage erteilen. Auch Ministerin Faeser sollte den Wert einer ausgewogenen Sicherheitspolitik erkennen und berücksichtigen, dass ihre Pläne zusammen mit der Union eine der umfassendsten Ausweitungen von Überwachungsmaßnahmen seit Jahrzehnten darstellen könnten.
von Teresa Widlok, LL.M.
Quellen
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Bundestagsdebatte vom 05.12.2024 zur VDS von IP-Adressen und Quick Freeze: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw49-de-mindestspeicherung-ipadressen-1032630
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Ausbau der Überwachung durch Union und SPD noch vor dem Ende der Legislatur: https://netzpolitik.org/2024/vorratsdatenspeicherung-und-biometrie-union-und-spd-wollen-ueberwachung-noch-vor-neuwahl-ausbauen/
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Einigung der IMK zum Sicherheitspaket und weiteren Überwachungsplänen: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/innenministerkonferenz-migration-100.html
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Artikel in der FAZ zur IMK-Einigung: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/faeser-will-grenzkontrollen-ueber-maerz-hinaus-verlaengern-110158510.html
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