„Es ist nichts geeint, bis alles geeint ist“ – diese alte Weisheit aus Verhandlungen sollte man sich auch in den aktuellen Koalitionsgesprächen immer wieder vor Augen führen. Obwohl sich vieles noch ändern kann, hat sich unsere Vorsitzende Teresa Widlok die Schnittstellen zwischen Digitalisierung und Bürgerrechten angesehen, also insbesondere die Arbeitspapiere der AGs Digitales, Inneres und Staatsmodernisierung.
Dabei sind ihr folgende Punkte aufgefallen:
Kategorie: „War zu erwarten – regt mich trotzdem auf“
- Die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen wird wohl kommen. Zwar ist die genaue Speicherdauer noch unklar – die Union fordert sechs Monate –, aber das Vorhaben steht in direktem Zusammenhang mit den Bestrebungen auf europäischer Ebene, wo bereits über eine neue VDS-Richtlinie diskutiert wird. Gar nicht gut.
- Die aktive Cyberabwehr ist zurück! Noch so ein digitalpolitischer Zombie. Wer die Codewörter der Digitalos kennt, weiß: Damit sind Hackbacks gemeint. Wir stehen also erneut vor ermüdenden Debatten darüber, was das eigentlich sein soll – und warum es sinnvoller wäre, unsere Verteidigungs- und Attribuierungsfähigkeiten zu verbessern.
- Automatisierte Datenrecherche und -analyse, retrograde biometrische Fernidentifizierung („Fotofahndung“) sowie die Quellen-TKÜ stehen ebenfalls auf der Agenda (letzteres zwar bisher nur bei der Union, aber wer weiß das schon). Was der Bundesrat im Sicherheitspaket der Ampel noch gestoppt hat, kehrt nun zurück – und vermutlich in deutlich verschärfter Form.
Kategorie: „Hat mich positiv überrascht“
- Internationale Digitalpolitik findet sich in den Arbeitspapieren wieder, unter anderem in Form von digitalpolitischen Kooperationsabkommen mit globalen Partnern, auch im Globalen Süden. Das sehen wir als Fortsetzung der Digitaldialoge des BMDV – ein positiver Schritt!
- GPS-Tracker sollen in den Stalking-Paragraphen aufgenommen werden. Hersteller von Tracking-Apps müssen künftig das Einverständnis der Gerätebesitzerinnen und -besitzer regelmäßig einholen. Das klingt sinnvoll!
- Der Bundestag soll in seiner Kontrollfunktion gegenüber Regierung und Verwaltung gestärkt werden. Das ist gut, aber noch nicht zu Ende gedacht: Gesetzgebung und öffentlicher Diskurs hängen derzeit zu stark von den Daten ab, die beispielsweise Sicherheitsbehörden bereitstellen. Eine bessere Datenverfügbarkeit zur Evaluation politischer Maßnahmen ist dringend notwendig.
Kategorie: „Alter – was soll das denn werden?“
- SPD und Union wollen sich auf EU-Ebene dafür einsetzen, „radikalisierungsfördernde Algorithmen im DSA stärker zu regulieren“.
Was genau soll das sein?
Und bedeutet das, dass man den DSA insgesamt noch einmal aufrollen will? Das glauben wir zwar eher nicht, wenn man die Bekenntnisse zum DSA an anderen Stellen in den Papieren liest. Aber was soll denn so eine Formulierung? - Die Union fordert nicht nur die Chatkontrolle, sondern auch eine Verpflichtung zur Entschlüsselung von Kommunikation. Das ist selbst für sie ein krasser Vorstoß. Hier bleibt nur zu hoffen, dass die SPD standhaft bleibt, immerhin will sie gleich an mehreren Stellen einbringen, dass sich die Regierung weiterhin gegen die Chatkontrolle einsetzt.
- Besonders viel Aufmerksamkeit hat die Idee der Union erhalten, das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) in seiner bisherigen Form abzuschaffen. Die Empörung darüber ist absolut gerechtfertigt. Passend dazu plant die Union auch den Titel der BfDI zu ändern und dabei die Informationsfreiheit einfach unter den Tisch fallen zu lassen. Vielleicht ist das der Weckruf für Journalistinnen und Journalisten, das Thema Presseauskunftsgesetz auf Bundesebene wieder aufzugreifen und ein solches Gesetz – unabhängig vom IFG – zu fordern.
One last thing…
Das Nationale Cyber-Abwehrzentrum soll zwar weiterentwickelt und der Informationsaustausch intensiviert werden, aber eine rechtliche Grundlage bleibt weiterhin aus. Das passt ins Bild: Mehr Datenaustausch, aber bloß nicht mehr (parlamentarische) Kontrolle.
Unklar bleibt bislang auch die Passage zur Schaffung einer „neuen spezialisierten technischen Zentralstelle unter Einbeziehung von ZITiS“, die eine gemeinsame (!) Ausrichtung der Nachrichtendienste auf den Cyber- und Informationsraum unterstützen soll. Klingt nach einem Fall für investigative Journalistinnen und Journalisten – solange das IFG noch existiert. Könnt ihr euch darunter etwas vorstellen?
Das sind Teresas erste Eindrücke.
Wir sind auf das finale Verhandlungsergebnis und den Koalitionsvertrag gespannt.
Quelle: https://fragdenstaat.de/artikel/exklusiv/2025/03/koalitionsverhandlungen-cducsuspd/
Bildnachweis: Foto von Pachon in Motion