Verbreitung von Desinformation, fehlendes Bewusstsein für Cybersicherheit – bei Problemen im Digitalen fordern wir fast immer eine Sache: mehr Bildung. So weit so richtig. Der Umgang mit (digitalen) Medien, der sichere Umgang im Netz, die Gefahren von Identitätsdiebstahl, Doxing, Social Engineering, usw. müssen dringend Bestandteil schulischer Bildung sein. Vergessen dürfen wir hier auch nicht die beruflichen Schulen und Universitäten. Doch wir machen es uns zu leicht, wenn wir die teils enormen Probleme mit der Verbreitung von Desinformation und menschlichem Fehlverhalten vorm Computer auf “die jungen Leute” abschieben.
Die Generation Y lernte das Netz beim Aufwachsen kennen, die Generation Z wuchs und wächst digital auf. Für die Generation X, die Babyboomer und alle noch älteren hingegen, ist das Netz wirklich Neuland. Das soll gar nicht abwertend gemeint sein, aber sie sind diejenigen, die erst in späteren Lebensjahren gelernt haben, dass Gefahren im Netz lauern können, dass Menschen online deutliche einfacher und im hohem Maße Identitäten stehlen und sie missbrauchen können. Dass nun jeder Informationen erstellen und sie verbreiten kann und es keine Gatekeeper mehr gibt, die alleinig Informationen verbreiten können. Wenn wir also davon sprechen, dass wir uns mit Bildung vor Gefahren im Netz schützen müssen, dann müssen wir auch darüber sprechen, wie wir die breite Masse der Bevölkerung – eben alle, die schon im Arbeitsleben sind, oder bereits wieder aus ihm ausgeschieden sind – erreichen können. Schließlich ist die Altersgruppe von 45 bis 55 Jahre mit 86,8 Prozent die zahlenmäßig stärkste Alterskohorte unter den Erwerbstätigen und die von 55 bis 65 Jahre mit 71,5 Prozent die drittstärkste (Stand 2018). Legt man darüber die Zahlen des Bitkom, die zeigen, dass mittlerweile jeder zweite Arbeitnehmer einen Computer am Arbeitsplatz hat und jeder dritte ein mobiles Gerät mit Internetzugang, verdeutlicht sich nochmal das Problem.
Eine Studie der Universitäten Princeton und New York unter Amerikanern zeigte, dass Nutzerinnen und Nutzer soziale Medien über 65 sieben Mal so häufig Falschmeldungen teilen, als 18- bis 29-Jährige. Die Studie begründet dies mit mangelnder digitaler Medienkompetenz und einem schlechteren Erinnerungsvermögen. Wenn man nun bedenkt, dass das größte soziale Netzwerk Facebook im Jahr 2017 einen Nutzerzuwachs von 23 Prozentpunkten bei über 60-Jährigen verzeichnen konnte (weltweit) und immer mehr Menschen über 60 WhatsApp nutzen (in Deutschland 52{c1f7b94144998ad8c1397b1d093e026cb56d923ecb51e222bdddee77bc99a8dd} der über 60-Jährigen, Stand 2017) und Falschnachrichten nicht nur über soziale Netzwerke, sondern insbesondere über Messenger eine zunehmende Verbreitung finden, dann stehen wir vor einer enormen gesellschaftlichen Herausforderung, die eben nicht lediglich mit Konzepten für schulische Bildung in der Zukunft gelöst werden kann.
Und Falschnachrichten in Form von Text sind schon heute nicht mehr das größte Problem. Manipulierte Bilder oder in falschen Kontext gesetzte Bilder grassieren bereits jetzt zu Hauf. Ebenso darf das Manipulationspotential durch Memes, Trolle und dergleichen nicht unterschätzt werden. Doch die viel größere Bedrohung steht mit sogenannten DeepFakes ins Haus: Manipulierte Videos, die Nacktaufnahmen bzw. pornografisches Material vornehmlich von Frauen darstellen, oder Aufnahmen, die mit neuem Ton und damit auch Inhalt unterlegt werden, wobei auch die Mimik des Sprechers verändert wird und so ganz neue, nie getätigte Aussagen entstehen können. Das Missbrauchspotential dieser Technologie ist riesig und der Fall eines verbreiteten manipulierten Video der amerikanischen Kongressabgeordneten Nancy Pelosi und dessen Weiterverbreitung von diversen Politikern unter anderem auf Twitter zeigt, dass Gesellschaften noch nicht bereit sind, für einen Umgang mit dieser Art der Desinformation. Für Ältere, die sich nicht tagtäglich mit digitalen Tools – sei es auch nur zum Spaß – beschäftigen, die demonstrieren, wie Bilder und Videos manipuliert werden können, ist dies ein erhebliches Problem. Jüngere Nutzer kennen dies häufig, und sei es nur durch Filter oder Ähnliches auf Instagram, Snapchat oder TikTok.
Wie also umgehen mit dieser Problematik? Wie so oft: es gibt kein Patentrezept. Es ist aber dringend angebracht, dass sich Politik, Zivilgesellschaft und auch Unternehmen mit dieser Problematik auseinandersetzen. Unternehmen sollten ein eigenes Interesse daran haben, dass ihre Mitarbeiter lernen, Desinformation und DeepFakes von echten Informationen zu unterscheiden. Verbreiten Mitarbeiter solche, kann das nicht nur dem Ansehen des Unternehmens schaden, es schadet auch der Sicherheit des Unternehmens, wenn Mitarbeiter dubiosen Informationen trauen und sich womöglich Schadsoftware einfangen. Die Politik könnte hier mit der finanziellen Förderung entsprechender Fortbildungen unterstützen.
Bildung ist aber auch ein staatlicher Auftrag. Warum also nicht über eine Bundeszentrale für digitale Bildung, analog zur Bundeszentrale für politische Bildung nachdenken? Thematisch gäbe es hier weitaus mehr, als die Themen Desinformation und Cybersicherheit. Datenschutz bzw. der Umgang mit Daten wird immer essentieller. Von den Datenspuren durch surfen im Netz bis hin zum Umgang mit den eigenen, hochsensiblen Gesundheitsdaten. Vom Verständnis über Algorithmen bis hin zu Künstlicher Intelligenz. Themen gäbe es genug und ihre Bedeutung nimmt rasant zu.
Finnland hat dies schon erkannt und führt umfassende Bildungsmaßnahmen durch. Das Land hat durch die Grenze zu Russland schon seit Jahrzehnten mit Desinformationskampagnen zu kämpfen und daher eine ganzheitliche, nachhaltige Strategien entwickelt, um Finnlands Bürgerinnen und Bürger dagegen zu immunisieren. Manipulation durch Desinformation wird hier als ein gesamtgesellschaftliches Problem gesehen, gegen das man bereits im Kindergarten, aber auch und vor allem in späteren Lebensjahren vorgehen muss. “It’s not just a government problem, the whole society has been targeted. We are doing our part, but it’s everyone’s task to protect the Finnish democracy,” sagt zum Beispiel Jussi Toivanen, der Erwachsene in Finnland unterrichtet. Doch auch bei der breiten Aufklärung über Künstliche Intelligenz ist Finnland Vorreiter. Ein Pilotprojekt sollte ein Prozent der Finnen Grundlagen über Künstliche Intelligenz vermitteln.Die ersten Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden zufällig ausgewählt. Das Thema wurde digital und niedrigschwellig vermittelt, sodass es jede und jeder verstehen kann. Der Ansatz dahinter: wenn Menschen die Prinzipien von Künstlicher Intelligenz verstehen, haben sie weniger Angst vor ihr und mehr Interesse an dessen Nutzung und damit auch der Ausgestaltung. Das Vorhaben ging auf. Heute ist der Kurs für jeden zugänglich und kostenlos nutzbar. Unternehmen und der Staat nutzen ihn, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fortzubilden, aber auch das Interesse unter den Bürgerinnen und Bürgern, die bisher keinen beruflichen Bezug zum Thema hatten, ist enorm. Ein wichtiger Schritt für Finnlands Ziel, Europas Nummer eins in der KI-Forschung zu werden.
Eine ähnliche Bildungsstrategie braucht es auch für Deutschland, denn die Probleme werden nicht weniger. Bei unserem EU-Partner können wir dafür genügend Inspiration und Lösungsansätze finden. Wichtig ist nur, dass sowohl Politik, als auch Zivilgesellschaft und Unternehmen anerkennen, dass fehlende digitale Bildung kein Problem von jungen Menschen ist, sondern von uns allen.
Dieser Artikel erschien zuerst bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
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